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Corona-Pandemie: „Wir brauchen schnell mutige Entscheidungen“
In einem dringenden Appell richten sich Landrat, Rems-Murr-Kliniken sowie die Kreisärzteschaften an die Politik. „Wir brauchen schnell mutige Entscheidungen“, sagt Landrat Dr. Richard Sigel. „Die Corona-Fallzahlen sind so hoch wie noch nie und die Belastung in den Kliniken steigt spürbar an. Trotzdem gilt etwa in den Schulen trotz geringer Impfquote keine Maskenpflicht – das ist schwer miteinander vereinbar“, so der Landrat weiter.
„Wir sehen, dass die Patientenzahlen seit Wochen steigen. Man muss kein Hellseher sein um zu prognostizieren, dass wir – ohne Gegenmaßnahmen – im Dezember in die Knie gehen werden“, sagt Dr. Marc Nickel, Geschäftsführer der Rems-Murr-Kliniken. Nickel regt an, die Messparameter und Bewertungssysteme zu hinterfragen. „Die Inzidenz wird nicht genutzt und die Klinikampel signalisiert zu spät. Wir brauchen dringend eine Impflicht für Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Und wir brauchen ein bundesweites Impfkonzept, welches das Gemeinwohl in den Mittelpunt stellt, nicht das Individuum. Länder wie Spanien und Portugal sind uns da voraus: Impfquoten von über 80 Prozent und entsprechend niedrige Inzidenz.“
Auch der Chefarzt der Interdisziplinären Notaufnahme Winnenden, Dr. Torsten Ade, sieht in einer massiven Ausweitung der Impfkampagne mit Boosterimpfungen die einzige Möglichkeit, die Pandemie langfristig einzubremsen. „Das wird allerdings eine Weile dauern“, so Dr. Ade, „Kurzfristig müssen sich alle strikt an die Hygienemaßnahmen halten und wieder mehr Abstand zu einander nehmen.“ Dr. Nickel mahnt dazu: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind jetzt in der vierten Welle und ausgelaugt“. Der „Versorgungsspagat“, der von den Kliniken geleistet werden müsse, drohe sie zu zerreißen, so der Geschäftsführer. „Schließlich ist es dramatisch, wenn wichtige Operationen oder Behandlungen, z.B. von Krebspatienten, wegen der Belastung durch Covid-Patienten verschoben werden müssen.“
Der Aufsichtsratsvorsitzende der Rems-Murr-Kliniken, Landrat Dr. Richard Sigel, hatte bereits Anfang dieser Woche mehr Unterstützung der Kliniken in Form eines Rettungsschirmes gefordert. Darüber hinaus sind in Abstimmung mit den Kreisärzteschaften zahlreiche mobile Impfaktionen im Rems-Murr-Kreis geplant. „Es war keine Fehlentscheidung die Impfzentren zu schließen, aber eine Fehleinschätzung, dass die notwendigen Impfungen ohne weiteres durch die ambulanten Strukturen leistbar sind,“ so der Landrat. Auch angedacht sind Impfaktionen für Kinder unter 12 Jahren, sobald diese zugelassen seien. „Auch Kindern- und Jugendlichen schnell ein Impfangebot zu machen, war uns schon bei der Zulassung des Impfstoffs für 12 bis 17-Jährige wichtig“, so der Landrat.
Prof. Dr. Ralf Rauch, Chefarzt der Kinder und Jugendmedizin am Rems-Murr-Klinikum Winnenden und ärztlicher Direktor, ergänzt: „Sobald sich Kinder unter 12 mit einer Impfung schützen können, sollten wir das Angebot auch eröffnen. Sobald die Zulassung da ist und die Eltern das wollen, werden wir daher Impfangebote machen und planen Impfaktionen in der Kinderklinik der Rems-Murr-Kliniken. Mir geht es darum, den einzelnen Kindern zu helfen. Wir mussten bisher 50 infizierte Kinder auf der Station versorgen, einige hatten Fieber und brauchten Sauerstoff. Fünf Kinder sind sogar mit PIMS diagnostiziert, dem pädiatrischen inflammatorischen Multiorgan-Syndrom, einer entzündlichen Krankheit, die gleich mehrere Organe angreift“, so Rauch.
Auch Dr. Jens Steinat, Pandemiebeauftragter der Kreisärzteschaften, warnt vor Überlastung des Gesundheitssystems: „In der aktuellen Situation zeigt es sich leider, dass die Politik auf Landes- und Bundesebene die Belastungen des ambulanten medizinischen Sektors nicht ausreichend wahrnimmt und in ihre Überlegungen bezüglich weiteren Maßnahmen mit einbezieht“, so Steinat. „Je höher die Infektionsraten, desto weniger Zeit haben wir für die so wichtigen Corona-Schutzimpfungen und die Regelversorgung. Wenn man schon seit Monaten im maximalen Leistungsbereich arbeitet, dann kann man irgendwann nicht noch mehr leisten. Ich sehe das ambulante und stationäre System vor allem in Hochinzidenzgebieten am Rande der Überlastung.“
(keck/10.11.21)