Rems-Murr-Kreis (Druckversion)
Autor: Martina Nicklaus
Artikel vom 18.03.2016

Lotsendienst für Hilfesuchende nimmt Arbeit auf

Lotsendienst für Hilfesuchende nimmt Arbeit auf

Selbsthilfekontaktstelle Gruppenfoto
Selbsthilfekontaktstelle Gruppenfoto

Neue Selbsthilfekontaktstelle im Landratsamt / Schlaganfallpatient berichtet von seinen Erfahrungen

Von einem Tag auf den anderen nicht mehr sprechen und nicht mehr laufen zu können, plötzlich einen nahen Angehörigen zu verlieren oder die Diagnose einer schweren Krankheit zu erhalten: Betroffene bringt das oft in eine zunächst ausweglos erscheinende Lage. Um nach einem solchen einschneidenden Erlebnis wieder auf die Beine zu kommen, gibt es unzählige Selbsthilfegruppen, die täglich wertvolle Arbeit leisten, um Menschen den Alltag zu erleichtern. Doch dazu muss der Betroffene auch den Weg zur passenden Selbsthilfegruppe finden.

eit Dezember gibt es dafür die neue Selbsthilfekontaktstelle im Landratsamt des Rems-Murr-Kreises unter der Leitung von Ilse Schmid. Beim Aufbau der Stelle leistet ihre Kollegin Birgit Stanew-Zinnemann zudem einen wichtigen Beitrag. Am Mittwoch stellte sich die Selbsthilfekontaktstelle Pressevertretern vor. Das Hauptaugenmerk ihrer Arbeit soll auf der Unterstützung der Selbsthilfegruppen im Landkreis liegen. Dies geschieht einerseits durch Beratung von Menschen, die nach einer Erkrankung oder einem Schicksalsschlag auf Hilfe angewiesen sind. Andererseits gilt es, die verschiedenen Selbsthilfegruppen miteinander zu vernetzen und mögliche Konflikte zu lösen.

Wie wichtig diese Aufgaben sind, wurde durch die Schilderungen des Gastes Dr. Klaus Feurer vor Augen geführt. Der promovierte Ingenieur war in leitender Stellung in der Wirtschaft tätig, als sein Leben von einem Tag auf den anderen durch einen Schlaganfall aus den Fugen geraten ist. Erst Jahre nach dem Schlaganfall, als er bereits in Rente war, besucht er erstmals die Schlaganfall-Selbsthilfegruppe Rems-Murr Winnenden. „Nach einem Schlaganfall sondert man sich ab, das ist ganz normal“, sagt Dr. Feurer. Dabei hilft Betroffenen der Austausch mit Menschen, die in derselben Lage sind. „Der eine kann schlecht laufen, der andere nicht reden – wir haben eben alle unsere Mängel, aber das ist halt so“, sagt Dr. Feurer. Die Selbsthilfegruppen vermitteln wieder eine Perspektive, wie sich trotz Beeinträchtigung, Krankheit oder Suchtproblematik ein zufriedenes Leben führen lässt. Mittlerweile ist er als frühere Führungskraft Leiter der Selbsthilfegruppe und genießt es, anderen etwas beibringen zu können.

Allein im Rems-Murr-Kreis gibt es an die 100 verschiedenen Selbsthilfegruppen, mehr als 90 davon sind im gesundheitlichen Bereich angesiedelt und seit 2016 werden diese von den Krankenkassen stärker finanziell gefördert. Trotz der zahlreichen Selbsthilfegruppen, die selbst für seltene Erkrankungen wie Lupus Erythematodes (eine seltene Autoimmunerkrankung) oder Mittelmeeranämie (eine Erkrankung der roten Blutkörperchen) bestehen, fehlte bisher eine zentrale Anlaufstelle für  Betroffene. Genau hier will die Selbsthilfekontaktstelle ansetzen und Hilfe leisten.

Für Dr. Rosemarie Längle-Sanmartin war es ein Anliegen von höchster Priorität, eine zentrale Anlaufstelle für die verschiedenen Selbsthilfegruppen zu haben. Die Sozialdezernentin des Landratsamtes macht deutlich, dass Selbsthilfegruppen inzwischen neben ambulanter und stationärer Behandlung sowie dem öffentlichen Gesundheitsdienst als „die vierte Säule des Gesundheitswesens“ angesehen werden. „Dieses ehrenamtliche Engagement von Betroffenen ist etwas sehr Wertvolles“, so die Sozialdezernentin.

Hauptverantwortliche für das Projekt ist Ilse Schmid. Die studierte Sozialpädagogin arbeitete zunächst mit Jugendlichen, die individualisierte Hilfe bei der Ausbildung benötigen. Die 48-Jährige sieht die Funktion der neugegründeten Selbsthilfekontaktstelle vor allem als die eines Lotsen an. „Sie soll Menschen da abholen, wo sie gerade stehen, und sie begleiten“, und somit für Hilfesuchende die passende Selbsthilfegruppe finden und den Kontakt herstellen.

Ilse Schmid hält es mit dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, der das Leben mit einem Fluss verglich, in welchem „niemand sicher am Ufer entlanggehe“. Stattdessen ist der Fluss gezwungen, sich unterschiedlichen Umweltbedingungen anzupassen. Die zentrale Frage laute dabei: Wie passt man sich als Betroffener den neuen Lebensumständen an? Wie wird man in diesem Fluss des Lebens ein guter Schwimmer? Oft sind es Ereignisse, die nicht beeinflussbar sind und vollkommen unerwartet geschehen, die Menschen dazu zwingen, ihr Leben von einem Tag den neuen Bedingungen anzupassen. Es sind Geschichten, wie die des Dr. Klaus Feurer.

Die Selbsthilfekontaktstelle leistet einen entscheidenden Beitrag dazu, dass diese Menschen, die in dem bisherigen Fluss des Lebens nicht mehr mitschwimmen können, unter den neuen Bedingungen wieder zu guten Schwimmern werden.

(mk/02.08.2016)

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